Originalartikel aus Kölner Stadtanzeiger vom 07.10.2021
Die Einrichtung „Winterhilfe“ für Wohnungslose in Merheim, wird von Anwohnern kritisch beäugt
„Es geht um den Schutz der Menschen“
Das Gebäude an der Ostmerheimer Straße 220 (Hans-Willi Hermans)
VON HANS-WILLI HERMANS
Merheim. Dass es in Merheim Gesprächsbedarf gibt, wurde auf der Versammlung in der Petruskirche sehr deutlich. Der Bürgerverein hatte zum Gespräch über „Obdachlose in Merheim“ geladen, und von den knapp 30 Besucherinnen meldete sich gefühlt jede einzelne zu Wort. „Die Frauen und Kinder sind verunsichert“, klagte eine Frau, weil in den vergangenen Monaten wiederholt Männer „wild gestikulierend“ durch die Straßen liefen, eine andere holt ihre Tochter abends sicherheitshalber von der KVB-Haltestelle ab. Ein Mann habe in ihren Garten uriniert, berichtete eine dritte, ihre Nachbarin bekannte: „Das bringt mich an meine Grenzen.“ Grund für die Fragen und Beschwerden ist das neue Haus der Winterhilfe für Obdachlose, das im vergangenen Dezember in der Ostmerheimer Straße eröffnet hat.
Vertreter des Trägers der Einrichtung, des Sozialdiensts Katholischer Männer (SKM), sowie des Sozial- und des Ordnungsamts der Stadt waren gekommen, um die Arbeit der Winterhilfe zu erklären und Ängste und Sorgen der Bürger mit konstruktiven Vorschlägen zu begegnen.
So stellte der Leiter der Einrichtung, Dietmar Beauvisage klar, dass es sich bei den Gästen in der Ostmerheimer Straße um Wohnungslose handelt, die – „aus welchen Gründen auch immer“ – die regulären städtischen Notunterkünfte meiden und deshalb bei Minustemperaturen akut von Erfrierung oder ernsthafter Erkrankung bedroht sind. „Anfangs haben wir sie in der Innenstadt mit einem Bus abgeholt und hierher gebracht. Aber mittlerweile ist unsere Einrichtung gut bekannt, deshalb reisen jetzt alle einzeln mit der KVB an.“
Daher seien die Besucher seit einigen Monaten verstärkt in den Straßen Merheims unterwegs gewesen, und zwar bis in den Sommer hinein. Denn eigentlich sei die Winterhilfe auf die kalten Monate von Anfang Dezember bis Ende April begrenzt. Allerdings sei der Gebäudekomplex wegen der Corona-Pandemie auch als Quarantäne-Station für Wohnungslose genutzt worden, die mit Infizierten in Kontakt gekommen waren. „Im Allgemeinen ist der Anteil der Geimpften unter den Wohnungslosen aber überdurchschnittlich hoch, er liegt bei 88 Prozent, in einigen städtischen Einrichtungen sogar bei 100 Prozent“, erzählte Patricia Frommer vom Amt für Arbeit, Soziales und Senioren.
Etwa die Hälfte der 110 Plätze am Ostmerheimer Weg werden weiter für diese Zwecke vorgehalten, der Rest stehe für die Winterhilfe zur Verfügung. „Die Gäste können im Winter zu jeder Tages- und Nachtzeit kommen. Ab morgens um 8 Uhr werden die Zimmer gesäubert, aber in den Gemeinschaftsräumen können sie sich auch tagsüber aufhalten“, sagte Sozialarbeiter Fabian Daniels.
Es gibt ein Mittagessen, und die Gäste dürfen so lange bleiben, wie sie wollen, bestätigte Jane von Sell, Sachgebietsleiterin Niedrigschwellige Hilfen beim SKM. „Ihr Zustand ist uns egal, ob sie zum Beispiel alkoholisiert sind oder andere Drogen zu sich genommen haben. Es geht um den Schutz der Menschen.“ Die Hürden sollten deshalb so gering wie möglich sein. Medizinisches Personal sei aber nicht vor Ort, Beratung finde auch nicht statt. Bei Bedarf würden die Gäste an entsprechende Stellen weitervermittelt.
Gar nicht möglich sei es, auffällige Gäste einzusperren, das widerspreche den Freiheitsrechten der Menschen, und auch ihre Bewegungsfreiheit im Ort könne nicht eingeschränkt werden, betonte Frommer. Nicht wenige der Gäste gingen aber einer regelmäßigen Arbeit nach, auch wenn sie keine Wohnung hätten. Man braucht nicht gleich in Panik ausbrechen, wenn jemand durch die Straßen geht, der ein wenig »fremd« aussieht. „Das Leben auf der Straße ist eben hart.“
Zwei Mitarbeiterinnen des Ordnungsdiensts versicherten, dass seit Eröffnung der Winterhilfe keine Auffälligkeiten für Merheim beim Ordnungsamt verzeichnet wurden. Bei Bedarf könnten sich Bürger aber telefonisch melden, unter Umständen könne über eine „stärkere Präsenz“ nachgedacht werden. Zuständig sei das Ordnungsamt aber nur für den öffentlichen Raum. Sobald Privatgrundstücke betroffen seien, müsse man sich an die Polizei wenden. Patricia Frommer regte die Einrichtung einer öffentlichen Toilette an der Haltestelle an, darüber müsse man auch mit den KVB reden.
Als weitere vertrauensbildende Maßnahme kündigte Dietmar Beauvisage einen Tag der offenen Tür an der Ostmerheimer Straße an, noch vor dem Eintreffen der ersten Wintergäste. Aber auch danach können sich einige Merheimer die Einrichtung von innen ansehen, meinte Sozialarbeiter Daniels: „Wir suchen noch ehrenamtliche Helfer.“
www.stadt-koeln.de/artikel/07773/index.html
www.skm-koeln.de
KONTAKT ZUR HILFE
Wenn Sie wohnungslose Menschen sehen, die sich bei winterlichen Temperaturen an ihren Schlafplätzen aufhalten, können sich Bürgerinnen und Bürger an die Winterhilfe unter Telefon 0221/474 555 45 wenden. Bei akuter Gefährdung der Menschen umgehend den Rettungsdienst unter 112 kontaktieren. Die Leitstelle des Ordnungsdiensts hat die Nummer: 0221/ 221 32 000. (hwh)